Zollrechtliche Konfliktfelder mit den USA
Mit der Amtszeit des US-Präsidenten Trump haben die internationalen Handelskonflikte eine neue Dimension erhalten. Bereits unter der Präsidentschaft von Obama waren die USA darum bemüht, ihr Handelsbilanzdefizit gegenüber China und der EU abzubauen sowie den multilateralen Handel, wie er nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) funktioniert, zu reduzieren. Seit ca. 2005 gibt es weltweit die Bemühungen, Freihandel verstärkt durch bilaterale oder regionale Wirtschaftsabkommen zu regeln. Diese Abkommen bieten den Staaten bessere Möglichkeiten, individuelle Regelungen für ihre Wirtschaftszweige zu vereinbaren als der multilaterale Freihandel, der für alle Vertragsparteien die gleichen Bedingungen vorschreibt. Derzeit gibt es weltweit über 600 bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen.
USA setzt neue Eskalationsstufe
Präsident Trump hat aber durch die unilaterale Einführung von Zöllen auf Stahl und Aluminium gegenüber der EU und anderen Staaten sowie von Zöllen auf eine breite Palette an Waren aus China eine neue Eskalationsstufe betreten. Er sieht die nationale Sicherheit der USA durch die Einfuhren bedroht. In dem Handelsstreit mit der EU wirft er den Europäern vor, unfaire Zölle auf US-Produkte zu erheben. Als Beispiel führt er an, dass in der EU z.B. auf PKW ein Einfuhrzoll in Höhe von 10% des Zollwerts erhoben werde, für EU-Fahrzeuge in den USA aber nur ein Zollsatz in Höhe von 2,5% gelte. Diese Fakten stimmen. Der Grund dafür liegt aber in den Zollzugeständnissen, denen alle Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) 1994 im Marrakesch-Abkommen zugestimmt haben, darunter die USA und die EU.
Das Märchen von den „unfairen“ Zollsätzen
Die Asymmetrie an Zollsätzen ist weltweit angelegt und Bestandteil der Vertragszölle der WTO. Es gilt sich zu vergegenwärtigen, dass die damaligen Verhandlungen der seit 1986 laufenden Uruguay-Runde nicht mehr nur den im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) geregelten Warenhandel erfassten, sondern erstmalig auch Themen wie Dienstleistungsfreiheit und internationalen Schutz des Rechts des geistigen Eigentums enthielten. Vor allem die Amerikaner, aber auch die Europäer hatten ein großes Interesse daran, den Dienstleistungssektor ähnlich zu liberalisieren, wie es für den Warenhandel schon seit 1947 im Rahmen des GATT mit großem Erfolg gelungen war. Die Durchschnittszollsätze wurden von den Industriestaaten weltweit von über 40% auf ca. 4% reduziert. Die weniger entwickelten Länder durften ihre höheren Zollsätze behalten, mussten im Gegenzug aber Dienstleistern aus dem Finanzsektor, der Versicherungsbranche, der Telekommunikation oder der Informationstechnologie im Rahmen des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ihre Märkte öffnen. Grenzüberschreitende Dienstleistungen wurden als Motor der Globalisierung angesehen. Insbesondere US-Unternehmen wie Amazon, Microsoft, Apple, Facebook oder Google profitieren bis heute davon.
Hinweis | Der Schutz der Rechte am geistigen Eigentum wurde im Rahmen der WTO ebenfalls durch das Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums (TRIPS) multilateral verankert, und auch dies vor allem im Interesse der Europäer und Amerikaner.
Insofern sind die Vorwürfe „unfairer“ Zollsätze falsch. Die USA haben sich 1994 im Rahmen der WTO auf diese Zollsätze vertraglich eingelassen und dafür Marktzugänge auf anderen Sektoren erhalten. Wenn sie daran etwas ändern wollen, gibt es die Plattform der WTO. Die seit 2001 schleppend verlaufende Doha-Verhandlungsrunde wäre der richtige Ort, um multilateral die Handelsordnung zu reformieren und neuen Gegebenheiten anzupassen. Es ist unbestritten, dass die Veränderungen der Wirtschaftsblöcke, die technologischen Entwicklungen und die Interessen aller Mitgliedsländer der WTO multilateral berücksichtigt und neu justiert werden sollten.
Wenn der US-Präsident heute die WTO lautstark als Katastrophe für sein Land bezeichnet, die verhindere, dass Amerikaner noch „gute Geschäfte“ machen könnten, greift er die multilaterale Regulierung des Welthandels frontal an. Und subtil untergräbt er die Effektivität der WTO, indem er verhindert, dass neue Richter bei der WTO ernannt werden. Das Streitbeilegungsverfahren der WTO hat in vielen Streitfällen über die Vereinbarkeit nationaler Handelspolitiken mit dem internationalen Recht überzeugende Entscheidungen hervorgebracht, die „Wildwestmanieren“ gezähmt haben. Es zählte nicht die Macht des Stärkeren, sondern das vereinbarte Rechtssystem. In der Revisionsinstanz müssen immer mindestens drei Richter entscheiden. Seit dem 10. Dezember 2019 ist von insgesamt sieben Richtern nur noch einer im Amt. Das WTO-Streitbeilegungssystem ist faktisch tot. Verstöße gegen WTO-Regeln können zwar noch im Rahmen von Panelbeschlüssen verurteilt, aber zumindest vorerst nicht mehr über die letztlich wirksame Revisionsinstanz geahndet werden.
Optionen der Europäischen Union
Was kann die EU in dieser Situation machen? Die WTO-Regeln brechen und sich auf einen Handelskrieg mit den USA einlassen? Sei es allein oder in Allianz mit anderen Staaten. Oder mittels diplomatischer Vorstöße in den USA versuchen, von „Strafzöllen“ ausgenommen zu werden? Zu welchem Preis?
Wenn der US-Präsident von fairen Zollsätzen spricht und damit gleiche Zollsätze meint, könnte die EU auch den gegenseitigen Abbau aller Zölle oder auch gleiche Zollsätze anbieten. Der Verzicht auf Zolleinnahmen für Importe aus den USA ist allemal billiger als ein Handelskrieg. Und entspricht eigentlich dem seit Jahren forcierten Ansatz der EU mit den USA ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Die Verhandlungen über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) sind aus verschiedenen Gründen gescheitert. Ein „TTIP light“ in Form eines reinen Handelsabkommens – ohne Investitionsschutzregeln- wäre eine Option. Der frühere EU-Kommissionpräsident Junker hat im Juli 2018 mit dem US-Präsidenten an Art „Waffenstillstand“ vereinbart und sich auf Gespräche über ein Handelsabkommen verständigt. Der US-Präsident ist nicht grundsätzlich gegen bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen eingestellt, wie die erfolgreiche Anpassung des Abkommens zwischen Südkorea und den USA sowie das Nachfolgeabkommen zur NAFTA, das USMCA zwischen den USA, Mexiko und Kanda, beweisen. Multilateralismus ist für ihn „des Teufels“, Bilateralismus oder Regionalismus aber nicht. Nach seinem Weltbild lassen sich so „faire deals“ für die USA aushandeln.
Einen Versuch wäre es für die EU wert, zumal ein Freihandelsabkommen zu den rechtlich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der WTO zählt. Allerdings unter der Voraussetzung, dass ein „substanzieller“ Teil des gegenseitigen Handels erfasst wird. Im Moment sieht es so aus, dass die EU-Kommission nur ein Verhandlungsmandat über Industriegüter bekommt. Die USA sind aber stärker am Marktzugang in Europa für Agrargüter interessiert. Insofern werden die Verhandlungen nicht einfach werden. Ein Erfolg wäre aber im europäischen Interesse.